top of page

The Monk Garden: Wildkräuter für die Berliner Spitzengastronomie

  • aschoenstaedt
  • 12. Juni 2023
  • 4 Min. Lesezeit

Martin Rötzel beliefert aus seinem The Monk Garden in Berlin-Mariendorf Restaurants wie Rutz, Cordo oder Nobelhart & Schmutzig mit Wildkräutern


Seine Vergangenheit merkt man Martin Rötzel an, sobald eine Kamera auf ihn gerichtet ist. Der 44-Jährige war in seinen früheren Leben schon Schauspieler, Backgroundtänzer für Justin Timberlake, bildender Künstler und Hotelfachmann. Er habe sich eine lange Phase des Herumprobierens erlaubt, erzählt er, während er sich in Latzhose zwischen Beeten und Stauden gekonnt in Position bringt. Erst vor zehn Jahren habe er sich zum ersten Mal ernsthaft gefragt, was er denn nun mit seinem Leben anfangen wolle. Rötzel besann sich auf seine Kindheit, das Aufwachsen in Ostwestfalen in der Nähe des Teutoburger Waldes. Mit seinem Vater sei er dort viel spazieren gewesen, habe – mit dessen Wissen – Kräuter gesammelt und daraus bereits im Alter von fünf Jahren die ersten Tees gemischt. “Das ist hängengeblieben.”


Zunächst als Untermieter mit einem Feld auf bestehenden Höfen, begann er, seltene, vergessene oder von Reisen mitgebracht Pflanzen zu sammeln und sich deren Geheimnisse zu anzulesen. Daneben arbeitete Rötzel in der Gastronomie, bis er vor eineinhalb Jahren beschloss, alles auf eine Karte zu setzen und “mit fünf Euro in der Tasche richtig Gas gegeben”.


The Monk Garden: Schwerpunkt liegt auf Dingen, die andere nicht haben


The Monk Garden: Wildkräuter für die Berliner Spitzengastronomie
Martin Rötzel in seinem The Monk Garden in Berlin-Mariendorf

Das Ergebnis dieser Bemühungen findet sich heute in einem abgelegenen Winkel Berlins. Auf dem Gelände des ehemaligen Gaswerks Mariendorf ist Rötzel Herr über einen 2000 Quadratmeter großen Garten, in dem er Wildkräuter, aber auch Blüten, Pilze, Obst und Gemüse anbaut – viele davon alte oder seltene Sorten. Rötzels Schwerpunkt liegt auf Dingen, die andere nicht haben: Safran, Szechuanpfeffer, Pimpernüsse, Schafgarbe, wilde Salate aus China, japanische Quitte …


Die seltene Vielfalt sei das Ergebnis seiner Leidenschaft, nicht eines Businessplans, sagt er. Zu seinen Kunden gehören die Küchenchefs aus dem Nobelhart & Schmutzig, dem Rutz, Aerde und Cordo. Restaurants, die offen sind für Neues und neu Entdecktes, die mit lokalen Alternativen zu Zitrusfrüchten experimentieren oder mit Käsegewinnung aus Wiesenlabkraut. Rötzels Angebot umfasst auch Warenkunde, Produktentwicklung und – auf Wunsch – eine Einführung in die medizinischen Wirkungsweisen seiner Kräuter. Für die meisten Köche stehe zwar der Geschmack im Vordergrund, er nutze die Gelegenheit jedoch und liefere die Gesundheit subtil durch die Hintertür.


Martin Rötzel sammelt Wildkräuter und das Wissen alter Klostergärten


In Anlehnung an alte Klostergärten, deren Kräuter Heilung von Krankheiten oder zumindest ein gesteigertes Wohlbefinden versprachen, bevor die moderne Medizin an ihre Stelle trat, hat er sein Projekt Monk Garden getauft. Das ursprüngliche Wissen der Mönche hat sich Rötzel in den vergangenen Jahren im Selbststudium angeeignet und zu seinem Herzensthema gemacht. Zwölf verschiedene Minzsorten gebe es beispielsweise in seinem Garten. Weil sie gut schmecken natürlich, aber auch weil sie von innen kühlen und deshalb als frischer Tee im Sommer bekömmlicher seien als ein kaltes Getränk, für das der Körper Energie zum Erwärmen aufwenden müsse, so Rötzel.


Oder Schafgarbe, deren Blüten einen entspannenden Tee ergeben, aber die wegen ihrer wundheilenden Wirkung auch schon bei den alten Römern als “Soldatenkraut” bekannt war. “Es gibt kaum etwas Besseres”, versichert Rötzel und führt einen verheilten Schnitt an seiner Hand vor, den er sich erst vor Kurzem zugezogen und dann mit einer Mischung aus Schafgarbe und Speichel behandelt habe.


Für Unwissende hingegen ist kaum ersichtlich, welche Schätze sich in Martin Rötzels Monk Garden finden. Der Garten wuchert wild und naturbelassen, wo ein Beet anfängt und der Weg aufhört, lässt sich auf den ersten Blick schwer sagen. Das liegt zum einen an der enormen Vielfalt, zum anderen daran, dass Rötzel bei Pflanzen und Tieren so wenig wie möglich in den ursprünglichen Kreislauf eingreift. “Ich integriere mich hier, nicht umgekehrt”, sagt er. Altholz werde nicht weggeräumt, sondern diene als Versteck für Eichhörnchen und Igel oder als Harzquelle für Hornissen und Wildbienen. “Die Nachtigall ist immer da”, sagt er und horcht in den Himmel. “Zaunkönige und Blaumeisen ebenfalls – alle kommen zu Besuch.” Auch Blattläuse, Wanzen, Spinnen und Ameisen führen im Monk Garden ein unbehelligtes Leben. “Wenn man eins wegnimmt, hat man plötzlich vom anderen zu viel”, erklärt Rötzel.


Er selbst bewegt sich dazwischen ebenfalls wie in seinem natürlichen Habitat und gleichzeitig mit einer Begeisterung, als sähe er das alles zum ersten Mal. Jedes Blatt, jede Blüte, jede Wurzel, Knospe und Sprosse kennt er beim Namen und hat Wirkung, Geschmack und Herkunft parat. Johanniskraut: "Ein geiles Kraut!”, Sumach: “Der Holy Shit für Säure!”, Sauerampfer, Spitzwegerich, Löwenzahn, Taubnessel, Fünffingerkraut, Wiesenflockenblume, wilde Rauke, Potentilla: “Schaut euch diese Schönheiten an!” Der Plan, den Garten gemeinsam einmal systematisch von vorne nach hinten zu durchwandern, wird schnell verworfen. Auf einem Fleck wächst hier so viel, dass wir uns bis zum Erreichen durchschnittlicher Aufmerksamkeitskapazität kaum bewegen müssten.


Wildkräuter aus dem The Monk Garden für Rutz, Cordo und Nobelhart & Schmutzig


Seltene Wildkräuter von Martin Rötzel im The Monk Garden
Wildnis in der Industrieruine: Der Monk Garden liegt im ehemaligen Gasometer in Berlin-Mariendorf

Im Rahmen der Koch- und Erlebnisausflüge von Woodcuisine bietet Martin Rötzel regelmäßig Wildkräuterwanderungen im Wald an. Mehr als eine Handvoll Kräuter könne er dabei aber kaum vermitteln, ohne dass den Teilnehmenden der Kopf platze. Das Wissen um die gesundheitsfördernde Kraft der Kräuter müsse deshalb schon im Kindergarten und in Schulen vermittelt werden, findet er.


Damit ausgestattet, lasse sich dann auch in der Stadtnatur danach suchen. “Wir sind umringt von Kräutern, die uns den Arsch retten können”, sagt Martin Rötzel. Weil direkt daneben aber auch ähnlich Aussehendes und Tödliches wachsen könne – beispielsweise Wiesenkerbel und Schierling – sei es wichtig, nur das zu essen, was man kennt. “Sonst kann es einem wie Sokrates gehen.”


Die Alternative: Man fragt jemanden, der sich damit auskennt. So wie Martin Rötzel. “Die Köche müssen mir zu 100 Prozent vertrauen”, sagt er und freut sich darüber schelmisch. Nur unter seiner Anleitung darf im Monk Garden dann auch allerlei probiert werden: Wilder Meerrettich beispielsweise, dessen Blätter schon die Schärfe der Senföle in sich tragen und die sich in Pesto, Suppen oder Ölauszüge verwandeln lassen. Liebstöckel, das “Maggigewürz”, das mit seinem intensiven Geruch nicht nur Wildschweine durchdrehen lässt, sondern frisch gehackt jedem herzhaften Essen den zusätzlichen Würze-Kick verleiht. Oder wilder Oregano, der im Abgang plötzlich eine intensive Schärfe entwickelt, die Chili überflüssig macht.


Wilder Garten in Berlin-Mariendorf: The Monk Garden
Paradies für Pflanzen und Tiere: The Monk Garden von Martin Rötzel

Bei der Verwendung von Kräutern in der heimischen Küche sei Fantasie und Ausprobieren gefragt, sagt Martin Rötzel. Pesto oder grüne Soßen seien immer eine Option, das Veredeln von Essig ebenfalls sowie Tee aus getrockneten Blättern und Blüten. “Und natürlich Wildkräutersalat. Aber das kann ich wirklich nicht mehr hören.”



 
 
 

Comments


bottom of page